Der Tod der politischen Seriosität

Veröffentlicht am 08.10.2007 in Features

Oder: Was ich von der Revision von Hartz IV halte.

Ich möchte gleich zu Anfang klarstellen, dass das, was ich hier schreibe, meine persönliche Meinung ist. Wenn irgendwer aus meinem Ortsverein denkt, das so nicht unkommentiert stehen lassen zu können, soll er mir seine Meinung schicken und ich werde sie auch in dieser Rubrik veröffentlichen.

Nun ist es also doch geschehen. Gerhard Schröders mutige Arbeitsmarktreformen, die er ohne Rücksicht auf sein politisches Überleben durchsetzte und die zu einem beispiellosen Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland führten, werden von seinem eigenen Nachfolger im Amt des SPD-Vorsitzenden verleugnet. Die Behauptung, der Aufschwung gehe an den Menschen vorbei, öffnet den Weg für neue Forderungen nach sozialen Wohltaten. Mit der Forderung nach verlängerter Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld (ALG) I für ältere Arbeitnehmer (eine Forderung, die er noch vor einem Jahr als „Populismus“ bezeichnete) will Kurt Beck politisch auf die Gewerkschaften zugehen und die an die PDS verlorenen Schafe wieder finden. Inhaltlich will er damit das längere Einzahlen in die Arbeitslosenversicherung honorieren.

Aber selbst wenn man vollständig außer Acht lässt, dass höheres Alter nicht automatisch mehr Beitragsjahre bedeutet, läuft diese Denkweise doch dem Versicherungsprinzip, auf dem die komplette Sozial-Versicherung aufgebaut ist, vollständig zuwider. Wer zwanzig Jahre in seine Haftpflichtversicherung einbezahlt hat, bekommt im Haftungsfall auch nicht mehr ersetzt als der, der nur ein Jahr eingezahlt hat. Ebenso wenig gibt es einen Grund, warum ein 40jähriger Familienvater schlechter deutlich schlechter gestellt werden soll als ein 60jähriger, dessen Kinder längst aus dem Haus sind, nur weil letzterer länger seine „Versicherungsprämie“ (natürlich im übertragenen Sinne zu verstehen) bezahlt hat.

Außerdem muss sich die Frage stellen, welchen Effekt das überhaupt für die Begünstigten hätte. Dazu betrachtet man am Besten die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren. Besonders solche Arbeitslose, die ihre Arbeit nur kurzfristig verloren hatten, haben sehr schnell einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Das entspricht genau der Zielvorgabe von Hartz IV. Unter dem Druck, der auf sie ausgeübt wurde, fanden tatsächlich so viele Arbeitslose einen neuen Job, dass nicht nur die Bundesagentur für Arbeit (BA) Überschüsse erwirtschaftet, sondern auch der Bundeshaushalt nah an der Sanierung dran ist. Diesen Druck will Beck nun zumindest von älteren Arbeitslosen zumindest teilweise wegnehmen. Nun, dabei vergisst er freilich, dass der Druck durchaus heilsam sein kann. Ich will keinem Arbeitslosen unterstellen, er bemühe sich nicht mehr, eine Arbeit zu finden, wenn er länger ALG I bekommt. Jedoch ist es insbesondere bei älteren Arbeitslosen sehr unwahrscheinlich, dass sie, wenn sie nach Ablauf der 18 Monate, in denen ihnen ALG I zusteht, noch keine neue Stelle bekommen haben, sechs Monate später plötzlich wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Es klingt hart und es ist nicht wünschenswert, aber irgendwo muss man leider den Schnitt machen, an dem ein Langzeitarbeitsloser aus der Verantwortung der Sozialversicherung entlassen wird und sein Lebensunterhalt - in Form von Sozialleistungen, in diesem Fall eben dem ALG II - vom Staat übernommen wird, und einen Grund, warum das gerade bei älteren Menschen erst nach zwei Jahren der Fall sein soll, obwohl sie bei der BA schon nach einem Jahr als Langzeitarbeitslose gelten, sehe ich beim besten Willen nicht.

Einen wirtschaftlichen oder arbeitsmarktpolitischen Sinn hätte eine solche Neuerung schon gar nicht. Im Gegenteil, wenn ein Kurzzeitarbeitsloser sich nicht sofort um eine neue Stelle bemüht, sinken seine Chancen schon nach kurzer Zeit erheblich. Kein ernst zu nehmender Volkswirt kann in Becks Programm auch nur einen geringen Nutzen für den Arbeitsmarkt sehen. Außerdem würde das Abgleiten ins ALG II auch nicht verhindert, sondern nur verzögert. Kurzum, hier geht es nur um Wohlfühlpolitik.

Was eigentlich noch beunruhigender ist, ist die politische Dimension eines solchen Vorschlages. Obwohl schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass man nur dann mehr Geld ausgeben sollte, als man hat, wenn die Zeiten schlecht sind und in guten Zeiten besser versuchen sollte, seine Schulden abzubauen, ist es in der Politik der Bundesrepublik Deutschland leider gängige Praxis, auch in guten Zeiten, das Geld im naiven Glauben, die guten Zeiten werden nie zu Ende gehen, mit vollen Händen auszugeben, hauptsächlich, um sich Wählerstimmen zu kaufen. Finanzminister Steinbrück hatte sich von dieser Politik aller seiner Vorgänger nach Karl Schiller, gerade erfolgreich abgesetzt und war auf dem besten Weg, zumindest einen ausgeglichenen Bundeshaushalt hinzubekommen, jetzt kommt dieser Querschuss aus den eigenen Reihen. Die Kostenveranschlagung von einer Milliarde dürfte zu niedrig angesetzt sein, wichtiger ist jedoch das Signal das davon ausgeht, nämlich, dass sich die SPD von ihrer seriösen Finanzpolitik abgesetzt hat und nun wieder sorglos mit dem Geld umgeht. Bald werden aus den verschiedenen Sparten der Regierung neue Forderungen auf Steinbrück zukommen und wenn man den Gedanken konsequent weiterführt, gibt es auch gar keinen Grund, warum für sinnfreie Politik der sozialen Wohltaten Geld da sein sollte, für Forschung, Bildung oder Wirtschaftsförderung, um nur wenige Beispiele zu nennen, jedoch nicht. Das Ergebnis wäre ein kompletter Dammbruch im Bundeshaushalt.

Und auch politisch wird Beck sein Ziel wohl verfehlen. Er hofft mit Sicherheit, mit diesem Vorschlag seine Chancen bei der Bundestagswahl 2009 zu erhöhen und seine schwachen Umfragewerte zu verbessern. Wahrscheinlich ist dies erst der Anfang und die Forderung nach einer generellen Zurücknahme der Agenda 2010 wird innerhalb der SPD sicher bald nach Verabschiedung von Becks Programm aufkommen. Vielleicht kann er damit tatsächlich auch den ein oder anderen abtrünnigen Gewerkschafter damit zurückholen. Aber die Masse der Abgewanderten wird sich dadurch wohl nicht zurückgewinnen lassen. Und man muss auch in die andere Richtung denken: Wie kann man es dem Bürger, dessen Stimme an die SPD ging, weil sie (im Gegensatz zur Regierung Kohl) am Arbeitsmarkt wirklich etwas bewegt hat, erklären, dass man die Veränderungen, die in wenigen Jahren die Arbeitslosigkeit um 1,5 Millionen gesenkt haben, rückgängig zu machen gedenkt? Wenn man als SPD die Verantwortung für die Agenda 2010 leugnet, leugnet man gleichzeitig seine Beteiligung am Aufschwung und auf das Jobwunder am Arbeitsmarkt, das es in diesem Umfang seit den 50er Jahren nicht mehr gegeben hat. Wenn Beck jetzt der Union, die sowieso (zu Unrecht) schon Anspruch darauf erhebt, auch noch Recht gibt, ist die Niederlage bei der nächsten Bundestagswahl vorprogrammiert. Das alte Vorurteil, die Sozis könnten nicht regieren, sondern nur opponieren, das ich eigentlich überwunden glaubte, wäre vollauf bestätigt und nach der Wahl könnten wir uns lange und ausgiebig mit dem Opponieren befassen.

In diesem Sinne: Halt durch, Münte!

Ich entschuldige mich, wenn ich mich zu drastisch ausgedrückt habe, und hoffe auf eine sachliche und inhaltsbezogene Diskussion.

Bastian Jansen

 

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