Haushalt 2021 – Stellungnahme der SPD Fraktion: Robin Pitsch

Veröffentlicht am 18.12.2020 in Fraktion

GR 16.12.2020   |   Haushalt 2021 – Stellungnahme der SPD Fraktion: Robin Pitsch

O tempora! O mores!

Ja, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe RatskollegInnen, liebe BürgerInnen,

auch ich komme gelegentlich mit einem Zitat um die Ecke.

O tempora! O mores!

…sagte der römische Politiker, Redner und Philosoph Cicero in gleich mehreren Reden in der Endzeit der römischen Republik. Und ja, das passt:

O tempora! O mores!

Was für Zeiten! Was für Sitten!

Ja, wir beschließen heute unseren Haushalt, auch wir werden zustimmen, was sonst will man tun, angesichts dieser Zeiten, in denen wir leben…

Ich meine, ich könnte – wie wir es als SPD – schon jahrelang tun, bei Fehlentwicklungen oder zu langsamen Entwicklungen Besserungen fordern oder Appelle formulieren. Ich könnte mal wieder über eine viel zu schlanke Verwaltung, bei der immer mehr Aufgaben und Projekte auf dem Tisch liegen bleiben, weil es schlichtweg für diese vielen Aufgaben zu wenig Personal gibt, als dass man das alles zur vollsten Zufriedenheit der Bürger abarbeiten könnte… und so weiter, und so weiter – und da muss man jetzt mal was anderes sagen, nämlich an unsere Verwaltungsmitarbeiter: Gerade weil ihr euch, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, trotzdem schier unlösbaren Herausforderungen und immer öfter an allen Ecken und Enden auftretenden Problemen stellt und damit den Laden am Laufen haltet, daher: ein herzliches Dankeschön! Ich könnte über das bezahlbare Wohnen sprechen, das immer noch viel zu langsam umgesetzt wird, aber immerhin mit der Schwetzinger Wohnungsbaugesellschaft auf dem Gleis steht, aber das Grundproblem des bezahlbaren Wohnraums immer noch keine Realität ist…

Ich könnte über mein Lieblingsthema „gute Schule“ sprechen, auch hier sind wir ja angesichts der ewig bekannten räumlichen Engpässe zwar zeitlich weeeeiiit hintendran, aber immerhin sind wir „dran“. Gleiches im Kindergarten- und Betreuungsbereich. Ich könnte uns beweihräuchern, ob unserer bald bezugsfertigen, modernen Gemeinschaftsschule, die wir bald in ihrem Gebäude in Betrieb nehmen können.Ich könnte die völlig unübersichtliche Haushaltsstruktur der Doppik erwähnen, die kein Mensch mehr – weder Gemeinderäte noch Verwaltung – versteht oder nachvollziehen kann und die uns von oben, von Stuttgart, aus Schwaben vorgeben, befohlen, auferzwungen, aufoktroyiert … suchen Sie sich ein Verb aus … wurde

Ich könnte Verkehr, Kultur, Kunst, Sport usw. weiter ansprechen, denn alles das findet sich ja da irgendwo im Haushalt wieder… und das ist auch wichtig und das haben meine Vorredner auch alles detailliert getan… - aber ist das das Kernproblem, vor dem wir stehen? Ich weiß, es war hier irgendwie seither immer Sitte, dass man sich auf die lokale Ebene zurückzieht, das will ich auch, keine Frage, nur will ich zudem den Zoom weiter hinaus wagen, auf eine Metaebene – freilich nicht beschreibend, sondern auch bewertend. Schwetzingen ist nur eine Stadt in Baden-Württemberg, in Deutschland, in Europa. Auch in den Schwetzinger Haushalt werden sich die Entwicklungen dieser Zeiten niederschlagen, die Auswirkungen von Pandemie, der getroffenen Entscheidungen „derer da oben“ und jener gesellschaftlichen Zerwürfnisse, die erst durch Corona zutage treten.

 

O tempora! O mores!

Was für Zeiten! Was für Sitten!

Zeiten in denen Politiker und Amtsträger gleichzeitig mehr oder minder offensichtlich mit den wichtigsten Großhändlern, Importeuren, Exporteuren, Geldverleihern, Richtern, in Zusammenhang stehen, sich gegenseitig Pöstchen zuschachern und am Ende selbst von ihren politischen Entscheidungen profitieren. Zeiten mit vermehrter Politik, die sich eben nicht am Wohl des Volkes oder der Bürger ausrichtet – nein – allein dem Profit und den Ränkespielen, wie die bereits Mächtigen zu noch mehr Macht und Geld kommen. Und das vor einem Hintergrund einer völlig überalterten, betonierten und sich gegenseitig behinderten Amtsbürokratie, die völlig außer Stande ist, neue Entwicklungen zu meistern. Eine Fut von Prozessen und Gerichtsverfahren, teilweise Bagatelldelikte lähmen und überfordern die Gerichte. Vor Wahlen beeinflusste und angelogene Bürger; teilweise mit Lug und Trug gekaufte Wahlen; eine zutiefst gespaltene Bürgerschaft - in jene, die still schweigen und den Staat einfach Staat sein lassen; dann die willfährigen Diener des Staates, die Teil der großen Selbstbedienung sein wollen, dann jene, die sich bereitwillig von der Rhetorik der Profipolitiker um den Bart spinnen lassen, und schließlich natürlich auch die gewalttätigen Krawallmacher, die den Staat zerschlagen wollen,… Und parallel dazu existiert eine Kluft zwischen sozial oben und sozial unten und eine immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen arm und reich.

… Zwischen Aristokratie und Plebejern

O tempora! O mores! Was für Zeiten! Was für Sitten!

Ja, das eben war nicht originär die Schilderung unserer Zeit – nein – das war die Endzeit der römischen Republik, die Zeit Ciceros, in der sein Zitat entstand. – Haben Sie unsere Zeit darin etwa wiedererkannt? – Sie wissen, wie’s ausging: an der Front des gewaltbereiten Pöbels und mit Hilfe der Staatsmacht hat Julius Caesar am Ende eine diktatorgleiche Stellung im Staat und regiert auch als solcher: absolut. Und gerade wir Deutschen sollten diese Form der Regierung doch gut genug aus den Büchern oder Uroma und Uropa kennen!

O tempora! O mores!

Sind unsere heutige Zeiten, unsere heutigen Sitten, unser heutiges System, nicht auch so behäbig und unfähig sich selbst zu modernisieren, dass uns das am Ende droht? Filz von Politik und Wirtschaft, Konzernaufsichtsräte, die in ihrem Vorleben als Politiker sich selbst die Weichen gestellt haben; aufgeblasene von Bürokratie und Juristerei völlig undurchsichtige und nicht nachvollziehbare Verwaltungsstrukturen, die sich im schlechtesten Falle noch gegenseitig behindern; Eine Bevölkerung, die sich nicht mehr mitgenommen fühlt, und die mehrheitlich dem individualistischen Überleben zwischen Porsche, Protz und Proll fröhnt (oder sich zumindest danach sehnt), anstatt sich am politischen oder gesellschaftlichen Leben zu beteiligen und „mündig“ zu sein; Und Politiker, die sich gerne in ihrem bürokratischen Klein-Klein verlieren und das große Ganze aus dem Auge verlieren, sofern sie dies überhaupt überblicken wollen – und nach 4 bis 5 Jahren aus ihrem Elfenbeinturm wohlfeile Wahlparolen herausschreien, weil sie sich um ihre eigene Karriere mehr fürchten, als um wichtige und progressive Richtungsentscheidungen – da sie nicht verstehen, dass „Politiker-sein“ ein temporäres Amt ist und eben kein Beruf.

O tempora! O mores!

Was für Zeiten! Was für Sitten!

Ich bin froh, dass wir hier in Schwetzingen hier auf kommunaler Ebene am Ratstisch sitzen. Aber auf uns prasselt diese ganze Entwicklung ein. Wir sind das Ende der politischen Nahrungskette. Unser kommunaler Haushalt ist das Ende der durch bürokratische Schlüssel, Umlagen und Gebühren zersetzten Fiskal-Nahrungskette. Wir hier in Schwetzingen müssen in der Kommune das finanzieren, was „die da oben“ verschlafen, abdrücken und unfähig sind zu bewältigen.

Man drückt uns Kommunen immer mehr auf:

-              Digitalisierung der Schulen – auf Landesebene verschlafen

-              Management von Asyl- und Anschlussunterbringung und grundsätzlich der Bereich Ordnungsbehörde – auf Landesebene Jahre verschlafen bzw. mit Schnellschüssen durchgedrückt

-              Wohnraumnot und bezahlbarer Wohnraum – auf Landesebene verschlafen und nicht mal drüber nachgedacht

-              Kindertageseinrichtung – auf Landesebene zwar nicht verschlafen, aber doch seeehr behäbig

-              Ganztagesschule und Betreuung – eigentlich das ganze Thema Bildung (in jedem Alter) – auf Landesebene verschlafen

-              Mobilitätswende, Nahverkehr etc. – auf Landesebene verschlafen

Ja das ist Landespolitik, das ist verpönt hier am Tisch auszusprechen, aber das alles kostet die Kommunen Geld und das Geld kommt eben nicht zu 100% vom Land, sondern eben pro Thema mal mit 70%, dann 50%, dann auch mal nix, dann 80% usw. Wenn man sich anschaut, welche Zusatzaufwendungen in den letzten Jahren auf die Kommunen zukamen und wie hoch der Anteil der anteiligen Landesfinanzierung war oder ist, dann haben alle Kommunen – auch wir in Schwetzingen – ein ganz anderes Problem, als diese kleinen haushalterisch kosmetischen Mängel: wir laufen hart defizitär Jahr um Jahr einem strukturellen Defizit hinterher, das uns irgendwann zwingen wird, unsere Investitionen herunterzuschrauben, unsere Bürgerdienste, unsere sogenannten freiwilligen Leistungen zu kürzen und dann ist aus die Maus!

O tempora! O mores!

Was für Zeiten! Was für Sitten!

Wenn wir auf Bundes- und Landesebene keine fundamentalen Steuerreformen bekommen, die diejenigen belasten, die viel haben – ich erinnere daran, dass nur 10% der Bürger 90% des Gesamtvermögens besitzen – wenn wir keine Steuerreform in den nächsten Jahren bekommen, die den Kommunen wieder mehr Handlungsräume aufmacht – dann laufen wir in eine kommunale Handlungsunfähigkeit hinein. Ich muss leider gestehen, dass ich keinen Mut aufbringe, angesichts des allenthalben bürokratisch-juristischen Wuschts und einer desinteressierten oder unfähigen Politiker-Kaste, dass dieses Problem gelöst werden könnte – wir werden Jahr für Jahr handlungsunfähiger. Klar - zu verhindern ist das – so macht es ja die USA seit 70 Jahren vor – mit Schulden! Und ja: wenn man Geld z.B. in Schulen oder kommunale Projekte investiert, dann hat man einen Gegenwert, denn man hat investiert. Dass man damit laufende Kosten nur marginal und punktuell mal finanzieren kann, liegt auch auf der Hand. Schulden machen, sollte grundsätzlich maximal projektbasiert sein und eben keine Dauereinrichtung werden. Und angesichts der Finanzhilfen in der Corona-Pandemie, in Deutschland, in Frankreich, in der EU, kann es doch an einem nicht fehlen: Geld. Alle Politiker zeigen: Geld ist da. Man nimmt Schulden auf. Und das ist akzeptiert. Es ist akzeptiert, wenn es ums Überleben unserer Gesellschaft geht.

Und das sei hier klar gesagt: angesichts der zukünftigen fiskalischen und finanziellen Tendenzen wird es gesellschaftlich ums Überleben gehen! Wir müssen investieren! „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ – wir dürfen die gesellschaftlich relevanten Investitionen nicht zugunsten einer Null-Schulden-Politik zurückstellen.

-          Wir müssen die Schulen ausbauen und ganztagessicher machen

-          Wir müssen sozial schlechter Gestellten bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen

-          Wir müssen die Betreuung in einer sich veränderten Gesellschaft garantieren

-          Wir müssen an alternative Mobilitätskonzepte und ein Mehr an ÖPNV ran

-          Wir müssen Digitalisierung vorantreiben

-          Wir müssen Unterbringung für Sozialscheinberechtigte und Geflüchtete schaffen

Und ja! - Das wird alles nicht mehr weniger – das wird alles immer mehr.

Und ja! - Das ist gesellschaftlich relevant, sehr relevant

Und ja! - Das kostet Geld

Aber: wir dürfen den Preis nicht immer mit Geld messen!

Was wäre, wenn wir unsere Aufgaben nicht machen oder nicht mehr machen können oder eben finanziell nicht mehr machen dürfen? – Tja, auch dann bezahlen wir einen Preis: nämlich den langfristigen Zerfall der Gesellschaft – dann könnte schon bald Caesar-Junior an die Tür klopfen. Nun die Frage: Kriegen wir das hin? Können und wollen wir das alles finanzieren? Und: lässt man uns das alles finanzieren? Immerhin werden unsere Haushalte ja zur Genehmigung in Karlsruhe bei den Bütteln der schwäbischen Supprematsregierung vorgelegt. – Nein, eine richtige Selbstverwaltung haben wir doch so gar nicht mehr.

Nochmal zum Verständnis:

-              Unser kommunaler Haushalt muss jene Themen zusätzlich mitfinanzieren derer sich die Landesverwaltung zwar entledigt hat und diese eben nicht 100% finanziert.

-              Die gleiche Landesverwaltung verweigert aber die Genehmigung solcher Haushalte, wenn sie überschuldet sind, weil mitunter jene Aufgaben finanziert werden müssen, die den Kommunen durch die Landesverwaltung auferlegt wurden.

-              Daher muss die am Tropf der Landesverwaltung hängende Kommune eigene wichtige gesellschaftliche Projekte einstampfen, schieben oder Projekten des Bürgerzusammenhalts (z.B. Vereine) die Gelder entziehen.

-              So geht Vertrauen in Politik, Vertrauen in Verwaltung, Vertrauen in Gesetze und letztlich Vertrauen in unsere Gesellschaft verloren – nicht sofort, nein fieser: schleichend, langsam – so langsam, dass Menschen sich dran gewöhnen und Politiker sagen können „is zwar schlimm – aber nicht ganz so schlimm, als das man etwas ändern müsste.“ …

Ich machs mal konkret: Bildung! – Ist Bildung jetzt Landessache oder Kommunensache? Zählt die KiTa zur Bildung oder zur Betreuung? Zählt der Kindergarten zur Bildung oder Betreuung? Zählt die Schule zur Bildung oder Betreuung? Hier müsste die Landesregierung mal hin und den Kommunen ein Signal geben: Bildung ist Landesaufgabe, und deshalb dürfte der ganze Block „Rund um Bildung“ für die Kommunen  keinen einzigen Euro Kosten. Punkt. Stattdessen werden hier Gelder abgezogen (Thema Schulsozialarbeit), Entwicklungen negiert und deren Kosten auf Kommunen abgewälzt (Thema Ganztag) oder ganz den Kommunen überlassen, bzw. den Eltern als Bildungssteuer abverlangt (Thema Kindergartengebühren). So kann das doch nicht gehen! – Was ist denn da los, Mensch! Anderes Thema:  Mit der neuen Grundsteuerreform hätte man die angespannte Situation privater Haushalte reformieren können und etwas Druck aus dem System nehmen können. Was ist passiert: per Definition (und es ist wirklich nur ne Definition, es ist politisch, es gibt keine soziologisch-sozialen Beweggründe hierzu) – per Definition wurden Gewerbeflächen einfach massiv entsteuert, Privathausbesitzer zahlen für die Wohnimmobilie viel mehr – die finanzielle Situation der Menschen verschärft sich weiter, weil die Familien die Zeche zahlen, während Großkonzerne wie Amazon oder auch Decathlon für ihre kapitalträchtigen Großlager nahezu kostenlos rauskommen – da kann man in Richtung „oben“ nur rufen: „Danke für gar nichts!“

O tempora! O mores!

Was für Zeiten! Was für Sitten!

Und schaut man sich die höchste Ebene – Europa – an, so schüttelt man ob dem Musterbeispiel an Bürokratie, Lobbyismus und Vetternwirtschaft nur den Kopf. Ich würde gerne positiv diese Rede beschließen wollen, allein: ich sehe nichts mehr Gutes in der großen Politik. Ich kann lediglich hier am Tisch noch dort Impulse setzen, wo es geht und wo ich kann. Es geht hier nicht mehr um Partei gegen Partei – es geht um Kommune gegen vertändelte Landes- und Bundespolitik! Wir in der Kommune müssen das Bollwerk sein gegen die politisch-bürokratischen Unzulänglichkeiten von Bund und Land. Und deshalb können wir uns freuen, dass Ränkespiele und dunkle Ideologie, wie sie aktuell in Stuttgart praktiziert werden, hier am Tisch noch weit entfernt sind und dass wir, so wie wir hier am Tisch sind, v.a. sachlich um die Sache reden… Ich würde mir wünschen, dass etwas von dem unserer grünen, gelben, schwarzen, dunkelroten und freiwählerschen Partner hier am Tisch abfärben möge an die Regierungshandelnden in Stuttgart und Berlin und ich wünsche mir, dass wir alle unsere Abgeordneten stets daran erinnern, um was es hier in der Demokratie eigentlich geht: Zusammenhalt.

Willst du die Zeiten ändern, so ändert die Sitten!

Cicero würde sagen: Vis mutar tempora, mutat mores!

 

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